Verschrauben kann jeder, der mit einem Schraubendreher umgehen kann. Das mag im privaten Alltag so stimmen. Jedoch: Das Versagen von Schraubverbindungen kann zu erheblichen Risiken bis hin zu Gefahr für Leib und Leben sowie Umwelt führen. Deshalb muss auch Schrauben richtig gelernt sein. Eine Richtlinie des VDI befasst sich mit der systematischen und bedarfsgerechten Qualifikation von Personal im schraubtechnischen Bereich.
von Jürgen Eixler, Leiter Engineering Bossard Schweiz
Im Oktober 2018 ist die neue Richtlinie des VDI mit dem Thema Qualifikation in der Schraubtechnik erschienen und in Kraft getreten (VDI/VDE 2637 Blatt 1). Die Richtlinie zeigt auf, welche Mindestqualifikationen Personen, die sich direkt oder indirekt mit der Schraubtechnik befassen, aufweisen müssen, um Verschraubungen erstellen zu dürfen. Für viele Fügeverfahren, wie zum Beispiel für das Schweissen oder das Kleben, gibt es bereits schon sehr lange Mindestanforderungen für die in diesen Bereichen tätigen Personen. Vorteil solcher klarer Definitionen ist die Regelung der Anforderungen und der Qualifikationen, um eine Verbindung zuverlässig zu erstellen. Vor Inkrafttreten der Richtlinie VDI/VDE 2637 gab es in der Schraubtechnik keine vergleichbare Regelung. Insofern hätte jede Person ohne jegliche Vorkenntnisse Verschraubungen erstellen dürfen.
Hintergrund
In der Maschinen- und Automobilindustrie wurden Stimmen laut, die auch für die Schraubtechnik eine Mindestqualifikation forderten. So entstand die neue Richtlinie mit einem beachtlichen Umfang: für verschiedene Anspruchsgruppen wurden 52 Qualifikationsbausteine definiert.
Bei der VDI/VDE 2637 handelt es sich um eine Richtlinie und nicht um ein Gesetz. Dennoch ergibt sich die Umsetzungspflicht den Produktehaftungsgesetzen und den Vorschriften für das Inverkehrbringen von Produkten. Gemäss diesen muss der aktuelle Stand der Technik, welcher eben durch die 52 Qualifikationsbausteine definiert ist, eingehalten werden.
Vorteile der VDI/VDE 2637
Eine frühzeitige Investition in die Qualifikationen Ihrer Mitarbeitenden ist eine wesentliche Schlüsselkomponente für die Qualität und Sicherheit Ihrer Produkte. Mit den gegebenen Qualifizierungsanforderungen der Mitarbeitenden bezüglich Ihrer Tätigkeiten ist die Richtlinie eine sehr wertvolle Unterstützung, um Aufträge entsprechend dem aktuellsten Stand der Technik bearbeiten zu können. Die Vorteile für Ihre Produkte liegen auf der Hand: Qualität, Sicherheit, Reduzierung der Wartungsintervalle, Leichtbau, Kostenoptimierung, Risikominimierung und Ausnutzung des möglichen technischen Potenzials. Falls sich ein Unfall mit grossem Sachschaden oder gar mit Personenschaden ereignet, wird das betroffene Produkt auf den aktuellen Stand der Technik geprüft und untersucht. Zeigen sich Abweichungen zu geltenden Richtlinien, kann dies zu einem massiven Reputationsverlust und zu grossem finanziellen Schaden führen.
Einflüsse einer Schraubenverbindung
In der VDI/VDE 2637 werden mannigfaltige Einflüsse einer Schraubenverbindung aufgezeigt. Zusammengefasst werden diese systematischen und zufälligen Einflussgrössen in den sogenannten 5M-Grössen: Mensch – Maschine – Methode – Material – Mitwelt (Umwelt).
Dabei geht es nicht nur um die Auslegung, beziehungsweise Berechnung einer Schraubenverbindung, sondern um viele weitere Einflussfaktoren wie beispielsweise die Reibung von Kopfauflage und Gewinde, Materialfestigkeiten und Grenzflächenpressungen von Bauteilmaterialien, Setzvorgängen, Konstruktion, Fertigung, Verarbeitung, Schraubprozess, Schraubwerkzeug, Maschinenfähigkeitsuntersuchung, Prozessfähigkeitsprüfung, usw. Aus Qualitätsansprüchen ist bereits bekannt, dass die verwendeten Schraubwerkzeuge regelmässig überprüft werden müssen. Grundsätzlich ist das nicht neu, die Richtlinie geht aber nun genauer darauf ein, welche Qualifikation Mitarbeitende aufweisen sollen, die Prüfungen wie zum Beispiel von Werkzeugen, Verschraubungen oder Verschraubungsprozessen durchführen und beurteilen. Gerade hier gibt es grosse Fehlerquellen die durch gezielte Schulungen eliminiert werden. Die Richtlinie regelt somit keine technologischen Fragestellungen zu beispielsweise der Auslegung von Schraubenverbindungen, Themen rund um Schraubwerkzeugen, Schraubverfahren oder ähnlichem. Dafür stehen andere VDI/VDE Richtlinien zur Verfügung. Zu erwähnen sind hier unter anderem die VDI 2230 zur Berechnung und Auslegung von Schraubenverbindungen oder die VDI/VDE 2645 «Fähigkeitsuntersuchungen von Maschinen der Schraubtechnik – Maschinenfähigkeitsuntersuchung – MFU».
Neue Herausforderung für Ausbildung von Mitarbeitern
Die Anforderungen an die Schraubtechnik wurden und werden immer höher. Neben der VDI/VDE 2637 erschien bereits im Februar 2015 die VDI 2862 mit den Mindestanforderungen zum Einsatz von Schraubtechnik und Werkzeugen für die Industrie in Abhängigkeit vom Risiko, das von Schraubfall und Montageprozess ausgeht. Das Bossard Engineering-Team hat die Situation am Markt schon lange verfolgt und stellt sich diesen neuen Anforderungen. Weiterbildungen wurden beim Engineering- Team vor Ort entsprechend vorgenommen. Damit stehen schon heute eine Anzahl von ausgebildeten Schraubfachingenieuren (DSV) und Schraubfachtechnikern (DSV) mit der nötigen Infrastruktur zur Verfügung und können Kunden beratend und unterstützend zur Seite stehen.
Umsetzung in der Praxis
Den gestiegenen Anforderungen in der Verschraubungstechnik gemäss der Richtlinie VDI/VDE 2637 kann in der neuen Bossard Academy Rechnung getragen werden. Die 52 Qualifikationsbausteine werden in gebündelten Seminaren zur bedarfsgerechten Qualifikation für alle Anspruchsgruppen in der Schraubtechnik – Mitarbeitende wie Führungskräfte – angeboten. Die praxisorientierten Seminare richten sich an eine schnelle und einfache Einführung und Umsetzung in der Praxis.
Der Artikel ist im April 2020 in "Management und Qualität -
Das Magazin für integrierte Managementsysteme" erschienen.